Wenn das vorbei ist
Der Spruch „Auch dies wird vorübergehen“ taucht zum ersten Mal in den mittelalterlichen Schriften persischer Sufi-Poeten auf. Er spiegelt das Vergängliche, Transitorische der menschlichen Existenz wider. Mit der Zeit heilen die Wunden: „This too shall pass“ .
Das knappe „Wenn das vorbei ist“ hält nicht wie die Sufi-Weisheit Trost bereit, sondern bedarf der Ergänzung: Wenn das vorbei ist, machen wir Inventur. Wenn das vorbei ist, versuchen wir es mit einer besseren, einer gerechteren Zukunft.
„Wenn das vorbei ist“ kann als Ankündigung eines Fragenkatalogs gelesen werden:
Was bleibt? Was kann gerettet werden? Was wünschen wir uns? Und implizit steckt darin die Frage, wie Krisen, Katastrophen, Kriege mit Mitteln der Kunst, der Literatur aufgearbeitet werden können.
Der Schriftsteller Mikhail Shishkin sagt, große Literatur helfe den Menschen, in der Katastrophe zu überleben, mehr aber auch nicht. Das sei eine Schwäche der Kultur, zugleich aber ihre Stärke: „Denn irgendwann ist der Krieg vorbei. Und dann? Was tut man mit diesem Hass, diesem Schmerz des Krieges? Wie kann man das überwinden? Das kann nur die Literatur, die Kultur.“
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Auch wir fragen:
Wie bezieht Literatur Stellung zum Ende einer Ära und zum Beginn einer neuen? Kann sie der Vergänglichkeit Paroli bieten und in das Räderwerk der Geschichte greifen? Kann sie Hoffnung und Sehnsüchte für die Zeit danach formulieren?
Denis Scheck